Freitag, 18. Juni 2021

Keine Panik

Triggerwarnung: Der folgende Text interessiert sich einen scheiß für deinen Safespace.

Auch ohne zehntausend Jahre in einer Öllampe verbracht zu haben ist mein Genick in einer vergleichbaren Verfassung und könnte das eine Kalkschulter sein, oder möchte mir Google nur mal wieder ein wenig Angst einjagen? Der Gag wird alt, Freundchen! Es ist schon wieder Sommer. Damals kommentierte ich gerne und regelmäßig scherzhaft „geil, endlich wieder in kurzen Hosen vor dem Rechner sitzen!“ dazu. Heute hingegen lassen mich die eimerweise Nutzung von Augentropfen und die physischen Wehwehs (fick mal deinen erzwungenen Diminutiv an dieser Stelle, Konrad) in so vielen Bereichen meines Körpers, in welchem selbst bei meiner Sportsbegeisterung einmal Muskeln versteckt waren, zynisch und schmerzhaft „geil, endlich wieder in kurzen Hosen vor dem Rechner sitzen!“ dazu durch fest aufeinandergepresste aber immerhin beinahe vollständige Zahnreihen raunen. „Weisheit ist keine mehr da, den Zahn muss ich dir ziehen“ HA-FUCKING-HA. Kill yourself.

Speaking about it: Gürtel und Tür? Nah, zum einen nicht besonders angenehm, zum anderen besonders unangenehm, außerdem siehts scheiße aus. Pillen? Ich krieg ja nicht einmal einzelne Pantoprazol ohne größte Anstrengungen runter. „It’s down the road, not across the street!“ ja, gut, aber nicht nach Constantine, ich brauch die Finger noch zum Jammern. Es nützt nichts, solange es keinen angenehmen Ausweg gibt, muss ich wohl dableiben, obwohl es nichts nützt. Es nützt ja nichts. Und wo soll das hier eigentlich hinführen? Wo soll das hier eigentlich hinführen? Wo soll das hier eigentlich hinführen?
In einem Jahr lachste drüber. Oder atmest wenigstens hörbar durch die Nase aus. Oder eben gar nicht mehr.

Über 8 Jahre und immer noch nicht per du mit meiner Therapeutin, über 30 Jahre und immer noch nicht per Sie mit meiner Mutter. Wenn ich nicht live erlebt hätte, wie Panikattacken aussehen, dann würde ich behaupten, ich sei betroffen, aber stattdessen ist das wohl einfach nur ein Dauerzustand ganz handelsüblicher Angst. Stress und Angst machen krank, they say, papperlapapp I say, sieh mich an - der am Stock stolzierende Gegenbeweis.

Und dann erwische ich mich bei der Suche nach Feindbildern, weil das nun einmal eben der Lauf der Dinge ist, wenn man sich zu lange mit sich selbst einsperrt oder eingesperrt wird.  
Und dann sitzen sie da in meinem Kopf und ihren WG-Zimmern und streicheln ihre Smartphones, posten auf Twitter und Instagram 140 Zeichen und Bildchen darüber, wie wichtig es doch ist, aware und woke und überhaupt zu sein, zu leben, denn das Leben ist doch da draußen bei all deinen echten Freunden, nur um sich 250 Upvotes später darüber zu wundern, warum das gute Gefühl trotzdem immer so schnell wieder nach Hause will. Und Like auf Like werden sie zum Dopamine sagen: „Verweile doch, du bist so schön!“.
Und eigentlich kam an dieser Stelle noch ein ausufernder Absatz über die Überflüssigkeit eines Matthias Schweighöfer oder seiner 17 Jahre älteren Kopiervorlage, aber genau so gut könnte ich davon erzählen, dass der Klimawandel real und das eigentliche Problem nicht SUVs sind, sondern die überflüssigen Menschen, die sie fahren, es wäre Grundlagenwissen, nichts neues, hatten wir schon, kommt immer wieder rein. Vielleicht bin ich auch einfach nur neidisch auf deren Talent.
„Und heute klappts spontan doch nicht, aber Ende der Woche klappts sicher, ja, da machen wir auf jeden Fall was, ich hab wirklich Bock! Ja, ganz sicher!“ Ja, ganz sicher.
Und wie ist das mit diesen Toffifees eigentlich gemeint? Wie kriegt soll man die aus der Packung bekommen, wenn mir meine OCD nicht erlaubt, die Form dabei vollständig zu zerdrücken? Gibt es dafür Werkzeug, von dem ich nichts weiß? Die menschenverachtendste Erfindung seit Waterboarding und vor dieser Zeile.
Und. Und. Und. Feinde kann man sich überall machen, es braucht nur ein wenig Engagement und (völlig berechtigte) Kritik an Marvel-Filmproduktionen. Anspruch macht einsam. Dabei möchte ich doch gar nicht viel. Manchmal würde es mir schon reichen, auf die 5 Sekunden bis zum Überspringen der Werbung auf YouTube verzichten zu dürfen. Mich interessiert dein Nagelpilz nicht und ihr seht auch von inne aus wie ein ganz normaler Onlinehandel, verpiss dich!
Und nein ich bin nicht okay, ich bin wirklich, wirklich nicht okay.
Und was stimmt eigentlich mit dieser Heizung nicht, dass ich hier im Juni auf dem Boden meines Badezimmers kauernd zittern muss? Wie viel Pathos könnte vermieden werden, wenn auf Konjunktionen zum Satzanfang verzichtet werden würde?

Ich weiß nicht, und frage mich oft, ob ich mich überhaupt so fühlen darf. Die eine Stimme in meinem Kopf sagt mir, ich hab doch alles, ich lache doch dauernd, ich bin doch der Typ, der noch die unterkühlteste Versicherungsangestellte am Telefon innerhalb von Sekunden durch seine offenherzige Art bis zum Adoptionswunsch auftaut. Der Typ mit den Sprüchen, die schon gut ankamen, als er noch nicht einmal gegen seinen Willen geboren wurde. Der Typ, der sich seit 30 Jahren Zeit und Ruhe lässt, einen vernünftigen Abschluss zu machen. Sieht doch ganz gesund aus, der Kerl, manchmal vielleicht ein bisschen anstrengend, ja ja, aber so im Großen und Ganzen ganz okay. Außerdem hat der doch seit Jahren dieselben drei Menschen, die sich sein Gejammere auf einer hoffnungslos veralteten Plattform anhören. Da gibt’s doch andere, denen es viel schlechter geht. Seinem besten Freund oder seinem Vater, den er nach all der Zeit fast zu erwähnen vergessen hätte, um nur mal ein paar einfache Beispiele zu nennen. Aber auch anderen, es müssen ja nicht gleich Tote sein. Seine Mutter zum Beispiel, die von ihrem Vater Werte geerbt hat, die sie dazu veranlasst haben, ihre Kinder beim Aufkommen von Unmut per Handkante zu maßregeln, arme Frau. Oder so viele der neun, die ihm von ihren erlebten Schicksalen erzählt haben, die absolut rechtfertigen, dass eine stabile Basis zum jeweiligen Zeitpunkt absolut nicht drin war. Oder Personen ohne Hände, keine Chance auf Toffifees.

Die andere Stimme hat nichts mehr zu sagen.



© 
At the end of the day by 'Pajunen' 

Mittwoch, 12. Mai 2021

Das Boot

Ich war gestrandet. Ich kann nicht sagen, dass ich verzweifelt war, das Treibgut reichte zum Leben und die Insel gab mir alles Nötige. An die regelmäßigen Gewitter gewöhnte ich mich genau so, wie mich schon bald das darauffolgende sanfte Rauschen der Wellen immer wieder beruhigte. Es war kein schlechtes Leben auf meiner kleinen Insel, ich wusste mich gut mit mir selbst zu unterhalten, lernte dadurch, mich selbst zu akzeptieren und in Geduld zu üben, auch wenn es Jahre kostete. Mit dem Fernglas vor den Augen auf der Suche nichts, frei von Erwartungen aber jederzeit bereit für eine Überraschung sah ich es eines kühlen Abends zum ersten Mal.

Dort am Horizont, offensichtlich ohne direkten Kurs auf dem Wasser treibend, strömte es mir führerlos entgegen. Das rabenschwarze Boot mit der auffällig blauen Maserung an seinem Bug sah von der Insel geradezu majestätisch aus, selbst seine schwankende Fahrt langsam in Richtung der Insel konnte daran nichts ändern. Mein Puls beschleunigte sich zusehends. Konnte es wirklich sein, dass sich nach all der Zeit ein Boot dorthin verirrte, noch dazu ein seetüchtiges?

Sein Rumpf ging nach einiger Zeit langsam am Strand der Insel auf Grund und nach einer Weile wagte ich es, das Gefährt vorsichtig zu erkunden. Es war kein neues Boot, das erkannte ich schnell, hier und da waren Kratzer und Risse in seinem stellenweisen porösen Lack, das ein oder andere Leck war darüber hinaus nicht zu übersehen, aber es ließ erkennen, was für ein prachtvolles Schiffchen es einmal gewesen sein muss. Ich fixierte das Boot auf meiner Insel, damit es nicht wieder auf den oftmals rauen Wellen des umgebenden Meeres davontrieb und ertappte mich bald dabei, erste Pläne zu schmieden, die Insel eines Tages mit dem Boot zu verlassen. Geradezu absurd, hatte ich mich doch nach all der Zeit so gut mit meinem Leben auf der Insel organisiert, dass die Alternative mir fremder und unglaubwürdiger vorkam, als mein Leben einfach weiterhin dort zu verbringen. Aber der Samen war gepflanzt, der Gedanke in meinem Kopf nahm seinen Platz ein und dachte nicht daran, diesen wieder zu verlassen, und so verbrachte ich mehr und mehr Zeit mit dem Boot.

Je intensiver ich es erkunde, desto deutlicher gaben sich die Spuren seiner Geschichte zu erkennen. Natürlich, die Schäden waren nicht zu wegzureden, ich konnte sie nicht ignorieren. Mit diesem Boot zu fliehen würde sich als kein leichtes Unterfangen herausstellen, aber ich würde es versuchen, voller Stolz würde ich sein, schaffte ich es, das Boot und mich über das Meer in einen sicheren Hafen zu führen, also schritt ich zur Tat und investierte Monate in seine Reparatur. Ich stopfte Lecke, gab dem Boot mit dem, was das Treibgut als Lackersatz hergab so gut es eben ging neue Sicherheit und Fahrtüchtigkeit und ging sogar soweit, ihm immer und immer wieder gut zuzureden, als Kapitän verstand ich dies schließlich als meine Pflicht.

Schließlich war der Tag gekommen. Ich lud meine wenigen Habseligkeiten auf das Schiff und kappte die Leinen, sodass die hoffnungsvolle Fahrt ins Ungewisse beginnen konnte. Das Meer blieb zunächst so wankelmütig wie eh und je, einige Zeit verbrachten das Boot und ich mit sanftem Wellengang und es erfüllte mich mit Freude und Stolz, sein Kapitän zu sein. Zu anderen Zeiten, wenn das Meer mit seinen Stürmen gnadenlos gegen seinen Rumpf preschten, war es nicht selten eine Umklammerung der Reling, die es mir mit letzten Kräften erlaubte, nicht den Halt zu verlieren und vom Boot stürzen. So ging unsere gemeinsame Reise eine ganze Weile so gut, wie sie auf dieser anstrengenden Fahrt eben gehen konnte, aber wir hielten durch.

Bis der Flickenteppich der Reparaturen langsam riss. Es begann damit, dass sich der Tank nur noch unter größter Anstrengung füllen ließ und zu allem Überfluss auch noch leckte. Damit nicht genug verweigerte das Steuer immer mehr die Kontrolle, bis es nicht selten vorkam, dass wir für jede Seemeile, die wir gemeinsam hinter uns ließen, zwei in die entgegengesetzte Richtung unternahmen. Es war, als wollte das Boot die Hoffnung verlieren und hier, verloren in den Weiten des Meeres, auf den Grund des Ozeans sinken. Aber ich blieb wacker. Mit mir würde dieses Boot nicht untergehen, kein Boot der Welt würde mich mit sich in die Tiefe ziehen. Und ich sollte Recht behalten.

Nach unzähligen Strapazen, zahlreichen Niederschlägen und Kämpfen um Hoffnung und noch ein wenig, ja noch ein klein wenig Ausdauer, glaubte ich, Land zu sehen. Groß war meine Freude, die Rettung schien zum Greifen nahe, mein wundervolles Boot und ich, wir würden es tatsächlich geschafft haben. Doch so endete unsere Fahrt nicht. Das Boot machte alle Anstalten, den für mich so nah erscheinenden Hafen nicht mehr zu erreichen, es war, als würde es unser gemeinsames Unterfangen aufgeben, als fehle ihm am Ende einfach die nötige Kraft. Ich fühlte das Wasser bereits bis zu den Knöcheln, das Boot fuhr tiefer und tiefer, ohne mir die Möglichkeit einzuräumen, letzte Rettungsmaßnahmen zu unternehmen, um uns beide doch noch in den sicheren Hafen einkehren zu lassen. Und ohne ein geübter Schwimmer zu sein, nur mit dem Wunsch, nach meinen Anstrengungen nicht mit dem Boot unterzugehen, sprang ich von Deck. Ob es Tränen oder das Salzwasser in meinen Augen war konnte man unmöglich genauer identifizieren, aber ich paddelte erschöpft auf das Land zu, kein Blick zurück, mit reiner Akzeptanz dem gegenüber, was geschehen war und geschehen würde. 

  

All dies ist eine gefühlte Ewigkeit her. Noch heute stehe ich fast täglich am Hafen und schaue in die Ferne, nicht selten in warmherziger Erinnerung an meine Zeit mit dem Boot. Und manchmal, wenn die Abendsonne den Horizont rot aufleuchten lässt und alles zwischen ihr und mir am Rande dieses Kontinents wie Silhouetten erscheinen lässt, glaube ich, ein ganz ähnliches Boot erkennen zu können, stolz auf der Meeresoberfläche treibend, mit einem Kapitän, der es zielgerichtet wieder und wieder sicher in seinen Heimathafen steuert. Das Beste, was man einem solch wundervollen Boot nur wünschen kann. Und dann wage ich mich manches Mal zu fragen: Was ist schon ein Kontinent, wenn nicht schlicht eine sehr, sehr große Insel.



Samstag, 2. Januar 2021

MMXX

 „Alle werden auf einmal so erwachsen
und erwarten dasselbe von mir
und vielleicht sollte ich das auch langsam mal.
Vielleicht sollte ich nicht mehr so derbe irritiert sein,
wenn mich jemand auf der Straße mal siezt.
Vielleicht. Verändert hat sich bei mir ja
eigentlich nichts in all den Jahren.
Eigentlich bin ich immer noch so.

eou – „Immernochso“

 

Siebzehn seit zweitausendsieben und irgendwie dort hängengeblieben. Bis heute keinen Anzug im Kleiderschrank, warum auch? Bisher hätte die Anschaffung kein Anlass gerechtfertigt. Aus der S-Größe herausgewachsen, aber die Wut steht mir immer noch wie damals, sie kaschiert die Trauer so gut. Vor jedem Wort muss nach wie vor die Playlist stimmen, sonst bleibt es beim Blank Space und ehrlich gesagt ist es mir auch gar nicht so wichtig, ob man das nun groß oder klein schreibt.

Alles in allem ist es wie mit einer neuen Staffel Black Mirror: Du weißt nie, wann sie kommt, kaum einen juckt’s, und die, die darauf warten, sind im Nachhinein entweder enttäuscht oder wieder ein wenig deprimierter als vorher. 4/5, gerne wieder, Lieferung war aber zu langsam.

Was ist zwischenzeitlich passiert? Ein Jahr. Überrascht?
„Staustufe rot – nichts geht mehr“ ist ein schlechter Witz dagegen. Fast-forward während des Totalstillstandes. 24/7 HVDR und dennoch weicht der Montag dem Mittwoch. Dazwischen: Chefkoch.de und Tinder. Erkenntnisse aus beidem gezogen. 50% davon kann ich weiterempfehlen.
Darüber hinaus: Manche Beziehungen überleben die Krise, die anderen waren schon vorher metastasenzerfressen.

Und jetzt? Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, aber das Licht am Ende des Tunnels blendet zunehmend die Dämonen. Gib mir zweieinhalb Jahre und ich bin entweder tot, unverändert oder zufrieden. Wenn Jörg Draeger zwischenzeitlich eine weniger wünschenswerte Option wegrationalisiert sind wir am Ende bei einer Erfolgschance von 66%, kannst du mir jetzt glauben oder eben nicht, aber irgendetwas hat es eben doch gebracht, die Vorlesungszeiten mit Wikipedia zu substituieren.

Vor fast 11 Jahren habe ich hier zum ersten Mal meine Unzufriedenheit in die allumfassenden Wellen des Internets gekotzt. Was haben wir gelernt? Bulimie ist ein Symptom, die Ursache ist unscheinbar und sesshaft. Was ist besser geworden? Ich. Dufter Typ, ahnbar, humorvoll, klug, beschissenes Volumen an Eigenkapital. Was ist schlechter geworden? Chris Roberts hat mal „du kannst nicht immer 17 sein“ gesungen. Abgesehen davon, dass Chris Roberts auf den bürgerlichen Namen Christian Franz Klusáček hörte und sich damit zu den Hundesöhnen gesellt, die den Ü60-Geborenen mit einem kessen Künstlernamen Herz und Magen verdreht haben, hatte er bezüglich dieses Sachverhaltes durchaus einen Punkt.
In Sachen Pro und Contra bleibt dennoch festzustellen: Ob nun halb voll oder halb leer, ich habe ein Glas. (Die Kleptomanie ist zwar zu größten Teilen seit einem Vorfall auf der Buchmesse vor 6 Jahren vorüber, dennoch stammt diese Weisheit – wie so viele von mir oftmals zitierte – nicht von mir: https://www.charliemackesy.com/)

Und was ist das hier nun eigentlich? Legst du überhaupt noch Wert auf hochkarätige Literatur?
+++Antwort 1 wird Sie überraschen!!!+++
Nein.
Endlich nicht mehr. Der Anspruch an mich erwies sich als die Handbremse jeglicher Kreativität. Nichts muss perfekt sein. Nichts muss umwerfend sein. Alles muss ehrlich sein. Und Ehrlichkeit darf weh tun. Am Ende laufen sie nicht deswegen weg, weil du gelogen hast, sondern weil sie nicht ertragen haben, wie ehrlich du warst.

Und dann lese ich, womit alles begonnen hat und erkenne mich selbst nicht wieder.
Angst: I am the Danger!
Hoffnung: https://markmanson.net/books/everything-is-fucked

Aber dennoch: Chapeau an dich, 2010-Ich! Ohne dich wäre da jetzt kein Licht. Gut gemacht, Schwein!
Aber Schmerz beiseite: Du bist okay. Weit weg von perfekt – wie wir alle – aber du bist okay, machst deine Fehler, deine Erfahrungen, bereust, was du bereuen solltest und findest immer wieder – hier und da – Menschen, die dir irgendwann glaubhaft machen werden, dass du in Ordnung bist, bleib dran, hab Geduld, gib dir ungefähr zehn Jahre und du wirst verstehen, wovon ich rede. Verluste gehören dazu, auch die, die du nicht reparieren kannst, aber komm nicht auf die Idee, wütend auf dich zu sein. Du. Bist. Okay. Und am Ende des Tages für immer 17.

Und jetzt?

Weitermachen.
Endspurt.
Frag mich in einem Jahr nochmal.
Frag mich in drei Jahren nochmal.
Wenn ich nicht antworte, hast du deine Antwort.
Wenn ich antworte, hast du deine Antwort.
Long story short: Der Swan Song ist noch nicht geschrieben, und so lange es dabei bleibt ist das letzte Kapitel nicht geschrieben.


Picture taken from http://www.drinksanytime.com/drinking-games-7-11-doubles/

Freitag, 17. April 2020

Neun

Neun – Und lass mich durchzählen:

Eins.
Weird but nice. Irgendwo muss man ja anfangen. Und für den Anfang war das nun wirklich nicht schlecht. Anspruch durfte man nicht haben, was dann ja nun auch der Grund war, warum weitergezählt wurde, aber ich bin mir sicher, man kann schlimmer beginnen. Und heute ist das alles längst vergessene Geschichte. Aber die Basis ist ja bekanntlich der Grundstein aller Fundamente und auf diese Steine können Sie nun wirklich bauen, ein Slogan, den dann auch der beste Freund meines Bruders zu beherzigen wusste. Hurensöhne. Alle beide.

Zwei.
Jesus Christus. Wilde Zeiten. Und bis heute eine wilde Zahl. Mit dem Kopf durch die Wände, weil eine allein dich wohl kaum aufhält. Und wenn du doch mal in die Knie gehst, dann fragst du mich und das freut mich immer und immer wieder. Die Schwester, die ich nie hatte. Die Schwester, die ich hätte sein sollen, wenn mit Sabrina nichts schief gegangen wäre. But here I am, es nützt ja nichts. Aber gut für dich und mittlerweile auch für mich, zwei Hände voll Therapie bringen ihr Übriges.

Drei.
Früher: Fall tot um.
Heute: Flieg von mir aus, aber außerhalb meines Sichtkegels. Du bist endlich egal

Vier.
Ich wünschte, ich wäre größer, damit ich dich höher halten kann. Für eine natürliche Zahl bist du unnatürlich wundervoll. ℕ verdient dich nicht. Ich schon gar nicht. Aber dir wünsche ich das Beste. Und für alles, was ich dir antat – vielleicht nehme ich mich da wichtiger, als ich es verdiene – flehe ich anhaltend um Verzeihung. Denn du verdienst, vergöttert zu werden. Aber manche Dinge lernt man eben auf die harte Tour und erst, wenn man seine Chance verspielt hat. Anyway: Go big!

Fünf.
Verflucht seist du, gutes Feuerwerk zur falschen Zeit. Aber so ist das eben offenbar manchmal. Steckste nich drin und am Ende eben doch. Ärgerlich, aber es macht dich aufwachen. Dass das eben doch am Ende einfach nur eine Sache ist. Für diese Erkenntnis: Danke. Für den Reste: Haken dran.

Sechs.
Ich wünschte, du wärest reifer gewesen, aber was verlange ich da von einer Zahl, die mit „nochmal“ konnotiert ist. Aber ich will dich gar nicht schlechter machen, als du warst. Da war viel Schönes dabei, auch du selbst. Und natürlich auch Unnötiges. Aber diesen katastrophalen Abgang, den hättest du dir nicht nur sparen können, sondern müssen. Und deswegen ist es okay, dass es ein zweites Peano-Axiom gibt. Trotzdem: No hard feelings, einen Chupa Chup auf dich!

Sieben.
Eine Erfahrung. Es gab genug Gründe gegen dich und es hätte keinem weh getan, auf einen davon zu hören. Aber es tat eben auch so nicht weh. Schön ist anders, kann man deuten, wie man möchte. Ich denke, der Begriff Nullsummenspiel ist hier für zwei Underdogs das Bullseye. Und Sport war noch nie so meins.

Acht.
Für deine offensichtliche Unnötig- und wichtigkeit warst du doch sehr gut für die Erkenntnis, dass Augenhöhe eine zentrale Rolle spielt. Mein schwaches rechtes Auge reicht nicht, um zu erklären, dass du da unten kaum sichtbar warst. Ich möchte dir gar nicht zu nahe treten – aus nachvollziehbaren Gründen – aber ich verkaufe mein Auto doch auch nicht mit „Ja gut, zum Fahren reichts.“. Kein Wunder, dass da niemand einsteigen möchte. Und Stichwort Verkehr: Ich würde mich nicht trauen, mit diesem Insassenrückhaltesystem vor den TÜV zu treten, da würde ich zeitnah was machen lassen. Aber mach, wie du denkst. Und überhaupt: Sieh nur, auf wie viele Zeilen du es trotzdem gebracht hast! Way to go!

Neun.
Ich bin froh, dass doch einige Zahlen vor dir kamen. Nicht alle. Manche trotz bestem Willen nicht. Aber zählen macht Zeit vergehen. Und mit ein bisschen Glück vergeht nicht nur Zeit, sondern es passiert auch Reife. Und vielleicht nimmt man sogar die ein oder andere Weisheit mit. Und deswegen springt jetzt erstmal kein Schaf mehr über Traumzäune. Und das ist endlich okay.


»You can hope it gets better, you can follow your dreams
But hope is for presidents and dreams are for people who are sleeping«


- AJJ – People II 2: Still Peoplin’




© Artwork by 'alexandra-mainea ' (https://www.deviantart.com/alexandra-mainea)

Donnerstag, 19. September 2019

Schwellenwert

»Try a little, work a little
be a little bit more for me«


Trentemøller - Try a little



Stream of Consciousness, das ist doch, womit alles beginnt, nicht?
Die schlimmste Tat, die man einem Menschen antun kann, ist - einmal abgesehen von Waterboarding - doch immer noch die Konfrontation mit dem Ich des Präteritums.
Und was würden wir nicht alles anders tun. Wir würden rechtzeitig wissen, das Beste, das uns jemals passiert ist, entsprechend zu wertschätzen, dem „the Horror, the Horror“ à la Marlon Brando rechtzeitig den Rücken zu kehren und direkt die Wege einzuschlagen, für welche wir gemacht sind.
Aber so läuft die Sache nicht. Im Gegenteil. Zu leben heißt zu scheitern. Und auch hierbei muss ich meinem früheren Ich widersprechen: Scheitern ist keineswegs das Ende. Scheitern als Chance.
„Und wir scheitern immer schöner“, hat einmal ein Mensch geschrieben, welchen am Ende der Kausalkette auch diese Zeilen zu verdanken sind. Heute bin ich der Meinung, einen flüchtigen Blick darüber erhascht zu haben, was dieser Satz bedeuten könnte.
Aus dem Jungen, der keine Richtung und kein Ziel hatte, der der Meinung war, weder noch zu verdienen, ist ein Mann geworden, welcher der schlimmsten aller Illusionen zum Opfer gefallen ist, welche sich einzugestehen er aber bis heute zu stolz ist: Hoffnung.
Aus dem „Alles war furchtbar“ wird zunehmend ein „alles könnte gut sein“, auch wenn die Mitbringsel aus dem unperfekten Perfekt gerne ein fatales Futur bewirken wollen.
Was hilft, ist damals wie heute die Axt. Here’s Johnny, Bitches! Auch wenn mir kaum etwas mehr Angst macht, als fehlende Gliedmaßen, weiß ich heute:
1. Angst brachte zwar deinen Vorfahren etwas, aber deine Vorfahren haben dich verkrüppelt.
2. Ein Bein, das dich nicht trägt, sondern lahmt, gehört ab. Das hat selbst House begriffen, und jetzt verrate mal deine Spirit Animals nicht.
Und ich habe gehackt. Eine Dekade und viele tragische Verluste zu spät, aber ankleben is‘ nich. Was bleibt, ist Konsequenz. Wenn du dir selbst nicht mehr treu bist, dann fällt die letzte Bastion. Dann bleibt nur Selbstmitleid, und Selbstmitleid ist das Einzige, das noch erbärmlicher ist, als das Mitleid anderer.
Und jetzt? Weitermachen?
Das wird - wie immer - die Zeit zeigen. Manche sagen, schreibe jeden Tag einen Satz. Manche sagen, lass gut sein, was vorbei ist, ist vorbei.
Aber für mich ist und war immer klar:
Kein Abgang ohne Schwanengesang.
Und das ist ein Versprechen.





© Artwork by 'ZEUS1001' (https://www.deviantart.com/zeus1001)

Samstag, 26. November 2016

MCMXC

»An einem Schreibtisch entsteh'n Gedichte und Genozide
Wenn man genau schaut, steckt in allem guten was negatives
Die schönsten Sachen sind noch tödlicher als nötig
Wenn man genau schaut, steckt in allem guten was böses«

Herr von Grau - Gedichte und Genozide


Ein Einzelkind soll Christian nicht bleiben, beide wünschen sich ein Geschwisterchen für den kleinen Stolz der Familie. Außerdem weiß Ellen wie es ist, als Kind allein zu sein. Dass das eine Grundlage für den Wunsch eines weiteren Kindes ist wird sie sich jedoch nie eingestehen. Detlef hat auch nichts gegen ein weiteres Kind mit ihr, zu stolz ist er auf den kleinen Christian und seine Ellen liebt er auch genug dafür. Also wird Ellen noch einmal schwanger.


Ellen hat zwei Brüder. In ihrer Kindheit waren die elterlichen Rollen klar verteilt. Ellens Vater kümmerte sich um den ältesten Sprössling, ihre Mutter war für den nächstgeborenen Bruder verantwortlich und als Ellen das Licht der Welt erblickte waren die frei zur Verfügung stehenden Elternteile bereits vergeben. Aber einen Großvater hatte Ellen, zwar durch die Erfahrungen von Krieg und russischem Gulag gezeichnet, trotz dieses Umstandes sehr liebevoll zu der kleinen Ellen. In ihm fand sie eine Bezugsperson, wenn Mama und Papa sich schon nicht ausreichend verantwortlich für sie fühlten.

Was Ellens Vater trotz der Distanz zu seiner Tochter sehr gut konnte, war, sie in ihrer freien Entfaltung einzuschränken. Das kleine Mädchen einfach so zu Freunden gehen lassen, wenn man nicht jederzeit nachschauen kann, was da so vor sich geht oder sie gar zu irgendwelchen Feiern zu lassen kam nie in Frage und wehe Ellen wagte es, sich ihrem Vater zu widersetzen. Natürlich hat sie seine Grenzen auf die Probe gestellt aber in den Sechzigern und Siebzigern war häusliche Gewalt noch ein ganz anderes Thema und so lernte Ellen schnell, dass sie sich dem Willen ihres Vaters besser beugt, so wie es ihre Mutter ebenfalls tut. Ellens Vater war ein Tyrann, der das Patriarchat verstand. Und so wusste Ellen, wenn sie eines Tages den Fängen ihres Vaters entflieht, dann möchte sie irgendwann einmal eine Tochter haben und alles besser machen. Frei soll sie sein und glücklich und lieb soll sie ihre Mama haben und Constanze soll sie heißen, ja, Constanze.


Am Ende der achtziger Jahre bekam man als Frau, bei der eine Schwangerschaft festgestellt wird, noch nicht sofort angeboten, das Geschlecht des Kindes zu erfahren. Entweder ließ man sich überraschen oder man erfragte eine entsprechende zahlungspflichtige Untersuchung. Ellen und Detlef sind sparsame und genügsame Menschen, also entscheiden sie sich dafür, sich überraschen zu lassen.

Natürlich hofft Ellen, dass sie nach Christian nun endlich ihren Wunsch nach einer Tochter erfüllt bekommt. Christian soll später einmal immer auf sie aufpassen, schließlich kann es doch so toll sein, einen großen Bruder zu haben, der einen schützt und aus Problemen herausboxen kann. Mehr als zwei Kinder möchte Ellen nicht haben. In ihr schlummert die Angst, eines ihrer Kinder könnte dasselbe Schicksal ereilen wie ihr und ein weiteres Kind könnte sich wie ein überflüssiges Wagenrad fühlen. Diesmal würde es keinen Großvater geben, der für ein drittes Kind verantwortlich sein könnte. Jedenfalls keinen, dem Ellen die Obhut eines Kindes anvertrauen würde, außerdem ist Ellen nachdem sie alt genug war, weit genug von ihrem Elternhaus weggezogen, um diese Situation gar nicht erst zu ermöglichen. Im Streit ging sie allerdings nicht, denn auf eine Konfrontation mit ihrem Vater hätte sie sich niemals eingelassen. Weder ist sie besonders streitlustig, noch mutig. Dieser Mann hat Frau, Kinder und sogar Schwiegervater geschlagen und tyrannisiert, nicht auszudenken, was er mit ihr anstellen würde, würde sie sich gegen ihn auflehnen. Ellen versteckt also ihre Wut auf ihre Familie und gelegentlich besucht sie ihre Eltern und Brüder, die sich selbst nie sonderlich weit von dort entfernt haben, sogar.


Christian wird nie auf sein Schwesterchen aufpassen.
Ellen weiß nicht einmal, ob das Kind, das sie da soeben verloren hat, überhaupt ein Schwesterchen geworden wäre. Was sie da erkennt ist nur ein blutgetränkter Zellhaufen, den sie hinter tränendurchtränkten Blicken ohnehin nur verschwommen sieht.
Aber sie wird es wieder versuchen, Christian soll dennoch kein Einzelkind bleiben und Ellen verdrängt ihre Trauer in einer weiteren Schwangerschaft. Wie man verdrängt hat sie bereits in ihrer Kindheit meisterlich gelernt.

Eines Tages stürzt die im sechsten Monat schwangere Ellen eine Treppe im Hausflur herunter. Zuerst ist ihre Sorge um ihr ungeborenes Kind groß, schließlich hat sie schon einmal ein Kind verloren ohne dazu gestürzt zu sein. Später wird sie diesen Vorfall eher scherzhaft erwähnen, denn ihr Kind wird davon unbeschadet drei Monate später zur Welt kommen.

Und so reicht man Ellen eines Mittwochs im Oktober 1990 ihr neugeborenes Kind und Christian bekommt sein Geschwisterchen. Und Detlef ist stolz auf sein jüngstes Kind. Nur Ellens Gesichtsausdruck hat etwas Merkwürdiges an sich. Sie freut sich ebenfalls sehr über das neue Kind, aber dass es ein Junge ist hat sie nun einmal auch gemerkt.

Also verwirft sie den Namen Constanze und hält plötzlich einen Andreas in ihren Armen.

Mich.




© Artwork by 'MD-Arts' (http://md-arts.deviantart.com/)

Freitag, 4. März 2016

Du und die Worte fehlen

Ich höre beim Schreiben immer Musik und ich würde jetzt eigentlich gern das Lied hören, das mich nun für immer an dich denken lässt, aber mit feuchten Augen schreibt es sich so schlecht.  Um ehrlich zu sein habe ich das Lied, nach dem Tag, an dem ich es das erste Mal hörte, wenn auch an diesem einen Tag noch sehr oft, anschließend nur noch einmal gehört.  Keine Sorge, die Wirkung war, auch Monate später, immer noch dieselbe.

Mir fehlen noch immer die Worte, auch wenn die Wut dem Versuch zu verstehen gewichen ist. Das soll keine Entschuldigung, eher eine Erklärung dafür sein, dass ich fast ein halbes Jahr brauche, um das hier zu schreiben.

Der Plan war, noch ewig weiter mit dir das Chaos anzustellen, für das wir in Kombination berühmt waren, seit wir etwa 15 waren. Mir war auch egal, dass es seltener wurde, seit uns einige Kilometer mehr als früher trennten, denn wenn wir aufeinander trafen war es, als hätten wir keine Sekunde ohne einander verbracht. Da war blindes Verstehen, so als wärst du der Bruder gewesen, der mir immer verwehrt geblieben ist.

Du warst bereits auf der imaginären Gästeliste für meine eventuelle Hochzeit mit wem auch immer, genau so sehr wie du am Abend meiner noch viel eventuelleren Scheidung mit mir in einer heruntergekommenen Bar gesessen hättest, wie wir es gern taten, wenn ich dich besuchte.  Aber nicht nur das, nein, du warst fester Bestandteil meiner gesamten weiteren Lebensplanung.

In unserem Alter hat man nicht zu gehen, dafür sind alte Menschen da, alte, kranke Menschen, deren Gehen sich über Monate ankündigt. Du warst nicht alt, du bist jünger als ich, keine 25 waren es, und ich habe immer noch keine Ahnung, wie Worte dem gerecht werden sollen, was ich seitdem fühle, ich bin nicht zufrieden  mit meinem Versuch, aber noch länger warten, mich endlich zu äußern, kann ich auch nicht.

In vielen meiner Texte hast du immer wieder eine Rolle gespielt und es ist furchtbar, dass das genau so abrupt aufhört, wie die Möglichkeit, mir dir zu reden, zu lachen, zu diskutieren, zu lästern, all das zu tun, was wir immer taten, seitdem wir uns kannten.  Ich vermisse sogar deine Unfähigkeit, gegen mich zu verlieren, wenn wir spielten, deine Uneinsichtigkeit, wenn ich Recht hatte und deine unzähligen Versuche, mich von Serien und Filmen zu überzeugen, an denen ich, oft zu Unrecht, kein Interesse zeigte. Ich vermisse alles an dir. Ich habe dich geliebt. Ich tu’s immer noch und ich werde es immer tun. 

Ich wünschte, meine Freundschaft mit dir wäre ausreichend gewesen, um dich hier zu behalten. Offenbar sagt man sich aber eben trotz einer so innigen Beziehung wie wir sie hatten nicht alles, vielleicht war es dafür aber auch einfach schon zu spät. Ich habe es mit Schuld- und Wutzuweisungen versucht, beides hat nicht geholfen. Wut und Schuld füllen nicht, was dein Verlust aufgerissen hat.

Das alles hier ist noch kürzer, als ich befürchtet habe, aber ich bin mir sicher, du verstehst, warum. Ich schaue oft zu dem Bild von dir an meiner Wand, von dem du mich anlächelst und zu dem ich dir einen melancholischen Blick zurückwerfe, wenn ich an dich oder etwas denke, von dem ich sicher bin, das wir darüber gelacht hätten, ich klammere mich einfach an den Gedanken fest, dass du vielleicht, auch wenn ich nicht an so etwas glaube, doch von irgendwo auf mich herabschaust und lächelst. Ich möchte nicht kindisch sein, aber eine schöne Vorstellung ist es allemal.

All das zu begreifen und damit zu leben wird wohl noch sehr lange dauern. Ich hasse mich ein wenig dafür, dass diese viel zu wenigen Worte nicht die Qualität innehaben, die ich für dich gern geben würde, aber ich hoffe der Grund dafür  ist nachvollziehbar.

Ich schwöre, ich komme dich besuchen sobald ich kann, vielleicht bringe ich auch das Lied mit. Ich möchte weinen, wenn ich bei dir bin, eigentlich möchte ich immer weinen, wenn ich an dich denke, mir ist, als sei es das Mindeste, was ich tun kann, um dir zu zeigen was du mir bedeutet hast.

ich wünschte diese Geschichte, die keine ist, hätte ein Happy End, wie es alle hatten, in denen du vorkamst, wie es jeder Tag hatte, den ich mit dir verbringen durfte.  Ich werde dich nie vergessen, das, verspreche ich dir. Du warst der Beste, danke für 10 wundervolle Jahre, die ich mit dir verbringen durfte. Wenn ich eines Tages nachkomme, werde ich zuerst nach dir fragen und ich bin mir sicher, darüber würdest du wieder so wunderbar liebevoll-verschämt lächeln, wie es nur du konntest.


Ich liebe dich und ich vermisse dich, und was mir von dir geblieben ist werde ich hüten wie einen Schatz.

Ich habe das Lied am Ende doch noch gehört. Meine Augen sind noch ziemlich rot, aber die Erinnerungen, die es in mir weckt sind es wert.

Bis ich endlich bei dir bin wirst du immer bei mir sein.

Auf Wiedersehen geliebter Freund, goodbye „Harvey“.




© Artwork by '00AngelicDevil00' (http://00angelicdevil00.deviantart.com/)

Mittwoch, 17. Februar 2016

Das Licht

Als ich dich abholte war es sogar ein wenig wie beim ersten Mal als wir uns allein trafen. Dieselbe Schüchternheit, gleichzeitig aber ein Gefühl der Gewissheit was kommen würde. Wir sind nach Hause gelaufen, natürlich hätten wir fahren können, aber nach all der Zeit gab es viel zu sagen, deswegen waren wir beide einverstanden, dass ein Spaziergang zu Beginn wohl nicht die schlechteste aller Ideen sei.

Im Dunkeln des Abends strahlt mich ein grellendes Weiß an, ich spüre ein kurzes Beben.

Ich frage nicht, warum du zurückgekommen bist, ich will nicht riskieren, dass du dich umentscheidest und wieder gehst. Schlafende Hunde soll man nicht Wecken, so wie man Glück nicht auf die Probe stellen sollte. Wir lachen zum ersten Mal seit damals wieder zusammen. Ich habe schon früher nicht fassen können, wie jemand wie du über meinen Humor lachen konnte, aber du tust es immer noch und nicht nur das weckt in mir dieselben Gefühle wie damals. Ich dachte die Stimmung des ersten Wiedersehens sei deutlich kritischer, aber auf kritische Stimmung hast du gar keine Lust, ich bemerke sogar ein kleines Lächeln auf deinen Lippen, welche nichts an Schönheit verloren haben, selbst dann, wenn wir einen Moment nicht reden oder es gar nichts zu Lächeln gibt. Man sieht dir an, dass du glücklich bist und dass ich mitlächeln muss und mindestens genau so glücklich bin ist sicher nicht nur meinen Spiegelneuronen zu verschulden.

Ein weiteres Beben. Warum möchte das weiße Licht einfach nicht verschwinden? Ich will kein Licht am Ende des Tunnels, mir gefällt das Schwarz, von dem ich nicht weiß, dass ich mich darin befinde.

Als wir ankommen, halte ich dir die Tür auf und du wirfst mir dieses Grinsen zu, das mich schon immer schwach zu machen wusste. Du gehst die Treppe vor mir hoch. Ich weiß nicht, ob mir jemals die Eleganz eines anderen Menschen als dir beim Treppensteigen aufgefallen ist, aber selbst wenn dem so wäre, würdest du alle anderen um Längen darin übertreffen. Ein bisschen erinnere ich mich an eine frühere Situation, in der du ebenfalls die Treppe, mit einer gewissen Intention, vor mir hinaufgegangen bist, und ich möchte mich kurz selbst für diesen Gedanken kasteien. Etwas unangenehm ist es mir schon, dass mein Blick für einen etwas zu langen Moment an dir festgewachsen zu sein scheint, denn als du es bemerkst, hast du diesen frechen Gesichtsausdruck, der mich schon immer herausforderte, während du „Hübsche Hose, hm?“ sagst.  Ich fühle mich ertappt, aber statt Enttäuschung höre ich aus deiner Stimme eher Freude. Vielleicht darüber, dass du bemerkst, dass du in meinen Augen offenbar genau so reizvoll bist, wie zuvor?

Das letzte Beben. Und immer noch dieses Licht. Aber ich bleibe hier. Soll es doch leuchten, ich will hier nicht raus. Und wenn es leuchtet so lange ich atme, ich bleibe hier.

Ich weiß nicht, ob wir bewusst auf einen Kuss verzichteten, als du aus dem Zug ausgestiegen bist. Ich bin mir aber sicher, dass es das Richtige war.
Ich schließe die letzte Tür auf und du trittst mit einer Selbstverständlichkeit hinein, als würdest du hier wohnen. Als hätte ich dich nie gehen lassen. Als ich dich frage, ob ich dir ein Getränk anbieten kann, summst du ein freundliches „hmhm“ und ich empfehle dir, es dir schon mal auf der Couch, die immer noch die alte ist, welche du so mochtest,  gemütlich zu machen. Das Getränk ist nichts Besonderes, kein Sekt oder Wein. Es ist das Wasser, von dem ich weiß, dass du es Leitungswasser schon immer vorgezogen hast. So viel Stil muss sein. Als ich es dir bringen möchte ist das Licht im Wohnzimmer abgeschaltet. Auch die Couch ist leer. Ein unangenehmes Gefühl macht sich in mir breit. Auch unter der Badezimmertür ist kein schmaler Lichtspalt zu sehen. So viele Zimmer gibt es hier nicht, also betrete  ich mit verbleibender Hoffnung das Schlafzimmer. Auch hier: Kein Licht. Ich seufze und das Echo der kahlen Schlafzimmerwände seufzt, deutlicher als üblich, mit.  Ich drehe den Dimmer auf so dunkel wie möglich, bevor ich das Licht einschalte. Und da liegst du, zusammengekauert in meinem Bett, nur ein wenig Kopf und sehr viel wunderschönes Haar lugen unter der Decke hervor. Ich lächle, und seufze deutlich glücklicher als zuvor, bevor ich mich beuge um dein Glas neben das Bett zu stellen.  Als ich wieder nach oben komme hat dein Arm die Decke verlassen und greift in der Luft nach mir. Ich trete einen Schritt näher und lasse mich von dir greifen und über dich rollend zu dir ziehen. Dann sehe ich noch einmal dein Lächeln. Du scheinst unglaublich froh darüber, wieder hier zu sein und ich lege meinen Arm um dich. Das bleibt nicht lang so, denn kurz darauf revangierst du dich für mein über dich Rollen und bleibst auf mir sitzen. Ich weiß noch nicht einmal so Recht, ob und wo ich dich jetzt anfassen sollte, da greifen deine Hände schon nach meinem Gesicht und du gibst mir diesen Kuss, der um so viel schöner ist, als es der, auf den wir am Bahnhof verzichteten, je hätte sein können.


Das Licht gewinnt. Kurz hatte ich dich zurück. Natürlich war es zu schön. Die Couch ist ohne dich und zum Schlafen ohnehin viel zu unbequem, nicht nur wegen des Smartphones, welches sich in meinen Rücken bohrt und abermals kurz vor sich hin vibriert. Der grelle Bildschirm hat offenbar keine Lust auf einen selbstinitiierten Stand-By-Modus und zeigt auf weißem Hintergrund immer noch die Playlist einiger Folgen der Serie an, welche wir so gern zusammen sahen. Da ist es wieder, das enttäuschte Seufzen aus meinem Schlafzimmer, diesmal nur ohne Lichtschalter, der alles besser macht. Er muss kaputt sein, denn egal wie oft ich das Licht einschalte ist alles was passiert, dass der Raum sich erhellt. Hell. Dunkel. Hell. Dunkel. Du weg. Ich da. Ich wünschte einer der beiden letzten Fakten wäre anders. Egal welcher.


Das Schwarz gewinnt. Nach einem langen Kuss ertappen wir uns dabei, gleichzeitig „Ich hab dich vermisst“ zu sagen. Du besitzt allen Ernstes die Frechheit, darauf mit „Jinx!“ zu antworten.  Erst gucke ich wohl ein wenig verwundert, dann frage ich, was ich also tun soll.
„Geh nie wieder. Lass mich nie wieder gehen. Ich mache dir keinen Vorwurf, aber geh nie wieder weg.“
Ich bleibe hier. Im Schwarz.  Versprochen. 



© Artwork by 'matew' (http://matew.deviantart.com)

Dienstag, 12. Mai 2015

Nur eine Modeerscheinung

Wie grell die Sonne strahlte
Und wie bunt die Blüten sprossen
Und wie sanft der warme Wind wehte
Und wie schön die Muster der Schmetterlinge waren

Wie fruchtig das Softeis war
Und wie angenehm das Grillgut duftete
Und wie viel länger die Tage plötzlich waren
Und wie viele Cabrios plötzlich auf den Straßen fuhren

Ist mir nicht aufgefallen.
Aber der erste Minirock
Der war rot.



© Artwork by 'MayelV' (http://mayelv.deviantart.com/)

Samstag, 17. Januar 2015

A & O

Du bist immer noch da, du mit deinen zwei Gesichtern. Du gehst mit der Zeit, aber geht es um mich, bleibst du konservativ. Manchmal glaube ich, dass wir einfach nicht den Mut haben, uns gehen zu lassen.

Als wir uns kennenlernten dauerte es nicht lange und ich verliebte mich Hals über Kopf in dich. Wenn ich heute darüber nachdenke, ist es schon fast komisch. Komisch auf jene Weise, die einem diesen traurigen Blick auf den Boden werfen lässt, nicht lustig.

Heute bist du nicht mehr, was du damals warst. Du bist ungeduldig, kurzatmig und anspruchslos geworden.
Was ist eigentlich passiert? Sind wir einfach älter und reifer geworden? Haben wir uns auseinandergelebt? Bist du auf die falschen Menschen getroffen?
Vielleicht hast du ja auch einfach Angst bekommen, welche sich nur als Faulheit tarnt.

Ich hätte dir die Dinge, die du jetzt  nicht einmal bereust, damals nicht zugetraut. Aber heute  sagst du, dass das doch ganz normal sei.
„Erst treffen sich Blicke, dann Lippen, dann Genitalien, dann Fäuste, dann Anwälte“, das gehöre eben einfach dazu, sagst du.

Wenn ich damals an dich dachte, dann sah ich Morgenstunden, in denen man sich mit einem frechen Lächeln aus dem Bett schubst, Sonnenuntergänge an Stränden, auf Dächern oder wo man sie sonst noch genießen kann und Nächte, in denen man sich unter den Decken, aus denen man sich am nächsten Morgen wieder schubsen kann, gegenseitig anschmiegt und wärmt.

Heute nennst du das naiv, so liefe das nun einmal nicht, so etwas sei für Hollywood da, nicht für die Realität.

Früher hast du für mich getanzt, hast dich dabei mit einer solch katzenartigen Eleganz und Anmut bewegt, dass ich kaum wagte zu atmen. Heute sehen wir uns nur noch gelegentlich, werfen uns kurze melancholische Blicke zu und tun so, als hätten wir gerade keine Zeit für Smalltalk.
Du bist mit anderen beschäftigt, für die du nur ein Wisch zur rechten Displayseite bist.

Ich vermisse dich.
Dich, in deiner früheren Reinheit. Dich, aus meinen Träumen. Dich, unschuldig wie du es einmal warst.

Und als ich dich sehe, wie du wieder auf der anderen Straßenseite meinen Blick meidest, da renne ich dir entgegen und packe dich.
Aber du fällst hin.
Und wo du hinfällst, da bliebst du für mich schon immer liegen.

Und der Unterschied, ob dieser Sturz uns nun das Genick bricht oder nicht ist so klein, wie er das A und O ist.

Eben ein Ade
oder eine Ode an dich.

Die Liebe.




© Artwork by 'davespertine' (http://davespertine.deviantart.com/)